Siemens-Chef Joe Kaeser, Blackrock-CEO Larry Fink, Mercedes-Finanzchef Frank Lindenberg – kaum ein Leader, kaum ein Konzern, der derzeit nicht seinen Sinn (oder neudeutsch „purpose“) definieren möchte… Wie kommt es zur derzeitigen Renaissance des Sinnstiftens? Wie lässt sich Sinn im digitalen Zeitalter erlebbar machen? Und wie kann es Unternehmen gelingen, sich authentisch einem höheren Zweck zu verschreiben?
Die Frage nach dem „Warum?“
Wir alle kennen es aus unserem persönlichen Leben. Ist die Frage nach dem „Warum?“ erst einmal beantwortet, lebt es sich beseelter, erfüllter, sinnhafter. In den Worten des Pessimisten Friedrich Nietzsche klingt das so: „Hat man sein Warum? des Lebens, verträgt man sich fast mit jedem Wie?“ Positiv formuliert heißt das: Sinn verhilft dem Menschen dazu, Übermenschliches leisten. Das Verfolgen eines höheren Zwecks ließ die Gebrüder Wright mit dem Flugzeug abheben, Steve Jobs seine Vision vom „PC in jedem Haushalt“ verwirklichen und so manches Start-up die Mobilität der Zukunft vorantreiben, wie z. B. Lilium Aviation mit ihren Flugtaxis.
In der Tat leben wir 2019 in einem neuen Zeitalter der Sinnhaftigkeit. Die „Fridays for Future“-Bewegung lebt davon, dass ihre Protagonisten das Überleben der Menschheit auf dem Planeten Erde ermöglichen wollen, Anhänger der FIRE (Financially Independent, Retire Eraly)-Bewegung träumen davon, spätestens mit 50 finanziell unabhängig den Vorruhestand anzutreten – nicht etwa um auf der faulen Haut zu liegen, sondern um sich endlich den wirklich wichtigen, sinnhaften Themen im Leben zu widmen – und die Philanthropen unter den Milliardären wie Bill und Melinda Gates wollen mit ihrem karitativen Engagement schlicht und ergreifend der Menschheit etwas zurückgeben. Die Generation Y stellt unverfroren die Frage nach dem „Why?“ in Unternehmen und seit Rezos You-Tube-Hit „Die Zerstörung der CDU“ ist die junge Generation politisch präsent. Allerortens stellen und beantworten sich die Menschen derzeit die Kölsche Universalfrage: „Wat sull dä Quatsch?“
Warum suchen Unternehmen nach „Purpose“?
Warum also nicht auch Unternehmen? Wo doch Konsumenten bewusst ökologische Produkte fordern, auf Plastik verzichten und das Gefühl haben wollen, beim Konsumieren etwas Gutes zu tun. Wo sie ihre Individualität angesichts der heraufziehenden Gefahr von K.I. bewahren möchten, als Menschen gehört, gesehen und angesprochen werden möchten. Was läge da näher, als sich mit seinem gesamten Unternehmen einem höheren „purpose“ zu verschreiben?
Und so lesen oder hören wir derzeit Forderungen nach nachhaltigem und langfristigem wirtschaftlichem Denken und Handeln (Blackrock-CEO Larry Fink in seinem Brief an die CEOs) oder es werden gleich ganze gesellschaftliche Konzepte wie der „inklusive Kapitalismus“ (Siemens-Chef Joe Kaeser) entworfen, um das eigene Wirtschaften in einen größeren, sinnhaften Kontext einzuschreiben. Unternehmen sollen bitteschön einen Beitrag zum Allgemeinwohl leisten. Hört sich verführerisch gut an, vor allem wenn es von Organisationen kommt, die nicht unbedingt im Rufe stehen, sich in der Vergangenheit um das Allgemeinwohl verdient gemacht zu haben…
Doch Vorsicht ist geboten. Denn aus gut gemeint wird zu oft schlecht gemacht! Sinn lässt sich nicht verordnen. Und wo sich der „purpose“ auf Schlagwörter oder feinsten Marketing-Sprech wie „First move the world“ (Daimler), „To make the world a brighter place“ (Covestro), “Chemistry for a sustainable future” (BASF) oder “We make real what matters” (Siemens) beschränkt, wird allenfalls ein Heiermann fürs Phrasenschwein fällig.
Integrität statt Worthülsen
So wunderbar sich diese Visionen auch anhören mögen, sie finden den Weg in die Herzen der Menschen erst dann, wenn sie authentisch gelebt werden. „Purpose“ ist etwas, das von Innen heraus lebt und nicht von Außen aufgepfropft werden kann. Hier können sich Konzerne von mittelständischen Unternehmen oder Start-ups eine Scheibe abschneiden. Unternehmer wie Götz W. Werner (Drogerie Markt) leben mit jeder Faser ihres wirtschaftlichen Handelns ihre Überzeugungen. In seinem Falle, dass die Wirtschaft für den Menschen da ist und nicht umgekehrt. Oder Start-ups wie Trivago verwirklichen denjenigen Daseinsgrund, der zur Gründung des Unternehmens geführt hat, nämlich Menschen zu ermöglichen mehr aus ihrem Leben zu machen, indem man ihren Bedarf mit dem günstigsten Übernachtungsangebot jenseits aller Agenturen zusammenführt. Hiervon profitieren am Ende alle Beteiligten.
Diese Daseinsgründe, Werte und Prinzipien übertragen sich dank gelebter Vorbildfunktion, Ehrlichkeit und Integrität auf alle Mitarbeiter und kommen so auf authentische Art und Weise beim Kunden an. Beim Einkauf bei DM fühlen wir uns wirklich als Menschen wertgeschätzt und die Arbeitsatmosphäre vieler Start-ups erinnert an Robin Hood: Man trägt eben dazu bei, Prozesse zu demokratisieren, auf unkomplizierte Weise Angebot und Nachfrage zusammen zu bringen, dabei ganz nebenbei den Platzhirschen eins auszuwischen und so Mehrwert für die Menschheit zu schaffen.
So entsteht ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit. Und wo Unternehmenszweck und individueller Lebenssinn der Menschen zu einer Deckung finden, brauchen sich die Leader weder Gedanken über die „Motivierung“ ihrer Mitarbeiter zu machen, noch darüber, wie sich der Unternehmens-Claim besonders schön auf Kaffeetassen und Mousepads gestalten oder als Fresko an die Wand malen lässt. Es ist wie mit dem Hausmeister im Nasa Space Center, der mit einem Besen den Flur reinigte und John F. Kennedy auf die Frage, was er denn mache, antwortete: „Mr. President, ich helfe dabei, einen Mann auf den Mond zu bringen.“
Walk your talk
Wenn Mitarbeiter sich mit dem höheren Zweck identifizieren können und sie ihn von allen Verantwortungsträgern verkörpert erleben, sind sie von Innen beseelt und damit intrinsisch motiviert. Sie engagieren sich mit Haut und Haaren und bringen sich als Menschen ganz ein. Sie werden kreativ und finden Lösungen jenseits des Tellerrands. Diese Dinge lassen sich nicht verordnen, sondern nur ermutigen! Walk your talk. Tun ist allemal beeindruckender als Reden.
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